Scheinbar unvereinbar
Manchmal muss man einfach näher hinsehen. Dann löst sich ein vermeintlicher Widerspruch in Wohlgefallen auf. Oder in eine tolle Geschichte – wie die von Johann. Denn Johann ist nicht nur Klient der Bonitas Pflegegruppe, sondern auch ihr Mitarbeiter. Eine Personalunion, die man nicht alle Tage sieht. Und die auch für unsere Pflegegruppe etwas ganz Besonderes ist.
Johann hat Muskelatrophie und das bereits seit seiner Geburt. Festgestellt wurde das aber erst, als er nicht laufen lernen wollte – oder vielmehr konnte. Da war er bereits zwei Jahre alt. „Stehen hat noch geklappt, aber ich bin nie richtig ins Laufen gekommen“, erzählt er. Es würde ja nicht jeder zum Hundert-Meter-Läufer geboren, so ein Arzt. Am Ende war es die Krankengymnastin, die erkannte, dass etwas nicht stimmen konnte.
Johann bekam bald einen Elektrorollstuhl. „Meine Mutter hatte Sorgen, dass ich mit dem Rollstuhl irgendwo gegenfahre“, schmunzelt er. „Ich war ja noch sehr jung.“ Natürlich ist alles gutgegangen.
Zunächst war es auch sie, die sich um ihn gekümmert hat. Als für Johann aber die Schulzeit anstand, wurde Unterstützung nötig. Von da an standen Johann Assistenten zur Seite – für die Schule waren das Zivildienstleistende, später in der Universität sogenannte Integrationshelfer. „Das war eine tolle Zeit für mich und die Zivis“, so Johann. Zu den meisten von ihnen hat er immer noch Kontakt.
Johann ist auf eine Regelschule gegangen. Eine wichtige Entscheidung, denn so konnte er von Anfang an ein normales Leben führen. „Für mich hat es nie eine große Rolle gespielt, dass ich in der Schule der einzige im Rollstuhl war. Viele Mitschüler kannte ich schon vorher und so war der Unterschied nie von Bedeutung.“ Entsprechend war sein bisheriger Werdegang auch der eines gesunden Menschen seines Alters: Ein kleiner Umweg über das Studium der Medieninformatik führte ihn zu seiner eigentlichen Berufung, dem Grafikdesign. Da das in seiner Heimatstadt Osnabrück nicht als Studium angeboten wurde, hat er sich für die Ausbildung entscheiden.
Johann musste relativ plötzlich von zuhause ausziehen, weil seine Mutter nun selbst auf Hilfe angewiesen war. Eigentlich führte er zu diesem Zeitpunkt schon ein sehr eigenständiges Leben: Nachts wohnte er weiterhin zuhause, für den Tag hatte er aber bereits ein eigenes Appartement in der Nähe, in das er sich zurückziehen konnte. Trotzdem führte die neue Situation zu einem großen organisatorischen Aufwand – den Johann aber bestens gemeistert hat. „Ich kenne viele Leute, die in einer ähnlichen Situation waren. Daher wusste ich, an wen ich mich wenden muss. Da helfen Kontakte.“ Und vor allem Freunde, auf die man sich verlassen kann. Und das konnte er.
Aber wie war das jetzt mit der Bonitas Pflegegruppe? Schon lange vor dieser Zeit begann sein Weg dorthin. Nachts muss Johann beatmet werden, und dafür sind ausgebildete Pflegekräfte nötig. Mit 17 Jahren kam er zum Pflegedienst Camelot. „Ich war einer der ersten beiden Klienten dort“, erzählt er. Und dann kam eins zum anderen. Johann ist in seine Mitarbeiterrolle quasi reingerutscht. Für den Intensiv-Pflegedienst hat er sich schließlich um Grafisches gekümmert, Anzeigen zum Beispiel.
2018 wurde Camelot von der Bonitas Pflegegruppe übernommen und schwups wurde Johann Teil des Marketing-Teams. Mit seiner Ausbildung ist er dort genau richtig. Er unterstützt die Abteilung in der Hauptsache vom Homeoffice aus, denn er wohnt in Osnabrück, die Verwaltung befindet sich aber in Herford. Johann verfügt zwar über einen umgebauten Wagen, den seine Assistenten fahren, der Aufwand wäre aber unverhältnismäßig und überhaupt nicht notwendig. Denn seine Aufgabenschwerpunkte sind die Fotobearbeitung, Social Media und andere grafische Arbeiten. All das geht wunderbar von zuhause aus. „Johann ist fester Bestandteil unseres Teams und die Zusammenarbeit funktioniert auf diese Weise reibungslos“, erklärt Abteilungsleitung Stefan. „Natürlich freuen wir uns immer sehr, wenn Johann uns besuchen kommt.“ Das tut er in regelmäßigen Abständen auch – und bringt neuerdings gerne mal seine Assistenz-Hündin Zoé mit. „Sie befindet sich gerade in der Ausbildung, kann aber schon Türen öffnen, Dinge aufheben oder Knöpfe drücken“, freut sich Johann. Durch einen kleinen Umbau am Rollstuhl kann er selbst mit ihr Gassi gehen. Trotzdem ist er auch hierbei auf die Unterstützung seiner menschlichen Assistenten angewiesen, die sich gerne mit um Zoé kümmern.
Wenn Johann damit nicht ein tolles Beispiel dafür ist, wie Menschen mit Beeinträchtigung am (Arbeits-)Leben teilhaben können! Wir zumindest sind ziemlich stolz auf seine Personalunion, die gar nicht so widersprüchlich ist, wie sie zunächst klingt.